Verschenkter Klimaschutz

Industrie könnte CO2 einsparen – wenn sie Mitarbeiter fragen würde

Wissenschaftler der Universität Hohenheim nutzen Erfahrungswissen der Beschäftigten, um Nachhaltigkeit in Firmen zu steigern / Ein Werkstattbericht

Sie kennen ihren Arbeitsplatz besser als die Geschäftsführung – und das könnte jährlich Millionen Tonnen CO2 einsparen. Die Beschäftigten in der Industrie verfügen über ein immenses ungenutztes Erfahrungswissen, wie sich die Nachhaltigkeit ihres Unternehmens weiter steigern ließe.


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Das haben Arbeitssoziologen der Universität Hohenheim und ihre Kooperationspartner im Projekt ProNaK herausgefunden. In einer Pilotstudie ermittelten sie bei 2.000 erreichten Personen ein Einsparpotenzial von geschätzten 630 Tonnen CO2 pro Jahr: Hochgerechnet auf rund sechs Millionen Beschäftigte in Deutschlands produzierender Industrie bedeutet dies eine beträchtliche verschenkte Chance. Rund 174.000 Euro erhält die Universität Hohenheim für ihren Beitrag zur Studie vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Damit zählt ProNaK zu den Schwergewichten der Forschung an der Universität Hohenheim.

Von Sensoren, die den Energieverbrauch messen, über Energiesparbirnen bis zu Bewegungsmelder für das Licht im Toilettenbereich – technisch haben etliche vorbildliche Unternehmen schon an vielen Stellschrauben gedreht, um ihren CO2-Ausstoß zu senken und die Ressourceneffizienz zu steigern.

Unterschätzt haben sie bislang aber die Menschen, die im Bereich der Produktion arbeiten. Sie sollten bis dato höchstens über Aufklärungsarbeit mit erhobenem Zeigefinger zur Nachhaltigkeit bewogen werden – mit dem Ergebnis, dass sie sich eher gegängelt als animiert fühlten.

„Dabei verfügen die Beschäftigten über ein enormes Erfahrungswissen, das man nutzen kann statt nur ihre kognitive Seite anzusprechen“, erklärt die Arbeitssoziologin Prof. Dr. Sabine Pfeiffer vom Fachgebiet Soziologie an der Universität Hohenheim.

Im laufenden Projekt ProNaK – Produktionsbezogene Nachhaltigkeitskompetenz – testen die Forscher, ob noch mehr Nachhaltigkeit im Betrieb möglich ist wenn man die Menschen in der Produktion direkt mit einbezieht. Unter der Leitung des ISF München untersuchen sie gemeinsam mit dem Verein der GAB München und der TU Chemnitz die Optionen im Betrieb.

Probe aufs Exempel: Workshops im Bosch-Werk

Der Ort der Handlung: Die BSH Hausgeräte GmbH im bayerischen Traunreut. In der dortigen Kunststofffertigung wollten die Wissenschaftler in einer Pilotstudie ausloten, ob die Menschen in den Produktionsprozessen überhaupt noch entsprechenden Handlungsspielraum haben. Das wurde zunächst in qualitativen Interviews durch das ISF München und die Universität Hohenheim ans Tageslicht gebracht.

In zunächst zwei Workshops mit den Beschäftigten, geplant und durchgeführt von der GAB München und der TU Chemnitz, ging es dann um die praktische Seite. Die Beschäftigten durchleuchteten und optimierten ihren Arbeitsprozess im Hinblick auf eine CO2-Einsparung – beispielsweise wie sie die Parameter beim Anlaufen einer Maschine einstellen können. Erreicht haben die Wissenschaftler mit diesem Ansatz schon 2.000 Beschäftigte.

Engagierte Beschäftigte: Hohes CO2-Einsparpotenzial

Das Ergebnis der Untersuchung erstaunte auch die Forscher: Geschätzte 630 Tonnen CO2 pro Jahr könnten in der Traunreuter Kunststofffertigung eingespart werden.

Prof. Dr. Pfeiffer hat gemeinsam mit Projektmitarbeiter David Kühner die Wirkung der Projektmaßnahmen evaluiert: „Es gibt erheblich mehr Handlungsspielraum als angenommen, und das ökologische Bewusstsein ist wesentlich höher ausgeprägt als wir erwartet haben“, stellt sie fest.

So sehr sogar, dass die Beschäftigten selbst einen dritten Workshop initiierten um die gewonnenen Ergebnisse zu verstetigen. Bei der Bosch-Geschäftsführung rannten sie damit offene Türen ein, der Workshop fand statt.

„Die Beschäftigten sind sehr engagiert, doch bisher gab es immer einen Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie. Ihre Arbeit wurde primär am ökonomischen Resultat gemessen“, erläutert Prof. Dr. Pfeiffer, deren Arbeitsgruppe die Ergebnisse evaluiert hat. „Um Nachhaltigkeit in ihr Handeln mit einzubeziehen, brauchen vor allem Sicherheit in bestimmten Entscheidungssituationen.“

Übertragbarkeit: Mehr Nachhaltigkeit auch für andere Branchen

Jetzt wollen die Wissenschaftler das Projekt auf den Bosch-Werkzeugbau ausweiten. „Dort ändern sich die technischen Prozesse ständig, so dass noch mehr Handlungsspielraum der Beschäftigten zu erwarten wäre“, meint Prof. Dr. Pfeiffer.

Parallel kommen außerdem Transfer-Partner ins Spiel, die feststellen sollen ob sich die Methoden auf andere Branchen und Unternehmen übertragen lassen. Derzeit entwickeln die Wissenschaftler in Abstimmung mit den Transfer-Partnern Module, die diese in ihre Fortbildungsseminare einbauen wollen.

Prof. Dr. Pfeiffer ist davon überzeugt, dass die Methoden Schule machen werden: „Die Erfahrung auch aus anderen Projekten hat gezeigt, dass es ist immer gut ist, die Menschen von Anfang an mit einzubeziehen – auch und gerade diejenigen, die in der Betriebshierarchie weit unten stehen. Denn sie kennen ihre Arbeit am allerbesten.“

Hintergrund: Projekt ProNaK

Das Projekt Produktionsbezogene Nachhaltigkeitskompetenz – ProNaK – startete am 1.11.2013 und ist auf drei Jahre ausgelegt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) fördert das Projekt im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative. Betreut wird es vom Projektträger Jülich. 173.933 Euro der Fördersumme entfallen auf die Universität Hohenheim.

Die Leitung des Projektes liegt beim Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF München). Projektpartner sind neben der Universität Hohenheim der Verein der GAB München, Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung e.V. sowie die Technische Universität Chemnitz.

Hintergrund: Schwergewichte der Forschung

Rund 30 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2014 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Projekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimental- bzw. 125.000 Euro bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.

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