Gründung Zweckverband als öffentlicher Auftrag?

OLG Celle legt EuGH Frage vor

Das OLG Celle ist immer für eine Überraschung gut. Aktuell hat es im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH die Frage aufgeworfen, ob die Gründung eines Zweckverbandes einen öffentlichen Auftrag darstellen kann (Beschluss vom 17.12.2014, Az.: 13 Verg 3/13).


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Das OLG Celle hat in seinem Vorlagebeschluss dem EuGH folgende Fragen vorgelegt (gekürzt und vereinfacht):

  • Stellt die Gründung eines Zweckverbandes und der (entgeltliche) Aufgabenübergang auf diesen einen öffentlichen Auftrag dar und ist somit grundsätzlich vergabepflichtig?
  • Sofern es sich um einen öffentlichen Auftrag handelt: Finden zur Beurteilung der ausnahmsweisen Vergabefreiheit die Grundsätze der In-House-Vergabe oder die der interkommunalen Zusammenarbeit Anwendung?

Die Antragstellerin des zugrundeliegenden Nachprüfungsverfahrens, ein privates Entsorgungsunternehmen, hat Interesse angemeldet, die Einsammlung und den Transport von PPK-Abfällen für den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, die Region Hannover, zu übernehmen. Dieser hatte allerdings seine Entsorgungspflicht auf den von ihm gemeinsam mit der Landeshauptstadt Hannover gegründeten Zweckverband übertragen. Die Gründung des Zweckverbandes sowie die Aufgabenübertragung hielt das klagende Entsorgungsunternehmen für unwirksam, da es sich um eine verbotene de-facto-Vergabe handele. Öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger sei vielmehr nach wie vor die Region Hannover. Diese sei verpflichtet, die ihr obliegenden Entsorgungsdienstleistungen auszuschreiben. Die Antragsgegnerin als potentielle Bieterin reichte deshalb einen Nachprüfungsantrag ein.

Nachdem zunächst die Vergabekammer in erster Instanz den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen hatte, sah sich das OLG Celle veranlasst, das Verfahren nunmehr auszusetzen und dem EuGH vorzulegen.

Dabei führte das OLG selbst aus, dass nach weit überwiegender Auffassung die Gründung von Zweckverbänden und die Aufgabenübertragung auf diese ausschreibungsfrei sei (etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.06.2006, Verg 17/06).

Nach Auffassung des OLG Celle sind jedoch die Argumente der herrschenden Auffassung nicht überzeugend, wonach die Gründung eines Zweckverbandes als Entschluss von öffentlich-rechtlichen Körperschaften keinen Vertrag darstelle, sondern auf einem Satzungsbeschluss beruhe. Auch das Argument, dass bereits kein Beschaffungsvorgang gegeben sei, weil die Bildung eines Zweckverbanden mit der entsprechenden Aufgabenzuweisung zu einer Kompetenzverlagerung führe, aufgrund derer die beteiligten Kommunen entlastet würden, ließ das OLG nicht gelten.

Das OLG argumentierte stattdessen, dass bereits durch die der Gründung des Zweckverbandes vorausgehende Einigung der Kommunen ein Vertrag zu Stande gekommen sei. Allein ein delegierender Charakter stehe der Anwendbarkeit des Vergaberechts nicht grundsätzlich entgegen. Auch die verfassungsrechtlich verbriefte Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 GG werde von vornherein nur im Rahmen der geltenden Gesetze gewährleistet und würde deshalb keine „entscheidungserhebliche Bedeutung“ zukommen.

Mit einem der Hauptargumente der herrschenden Gegenmeinung, wonach die Gründung eines Zweckverbandes als rein interner Organisationsakt zu werten sei, auf den die europäischen Vergaberichtlinien von vornherein nicht anzuwenden sind, da die Rechtssetzungsorgane der Europäischen Gemeinschaft hinsichtlich der Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten über keine Normgebungskompetenz verfügen, setzt sich das OLG nicht näher auseinander.

Überdies hielt das OLG Celle die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 6 der neuen Vergaberichtlinie 2014/24 für nicht einschlägig, die lautet:

„Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere Rechtsinstrumente, die die Übertragung von Befugnissen und Zuständigkeiten für die Ausführung öffentlicher Aufgaben zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Gruppen von öffentlichen Auftraggebern regeln und die keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorsehen, werden als Angelegenheit der internen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats betrachtet und als solche nicht von dieser Richtlinie berührt.“

Ob eine „Vergütung für vertragliche Leistungen“ vorgesehen ist, prüfte das OLG Celle nicht ausdrücklich. Vielmehr führte es aus, dass eine „Entgeltlichkeit“ vorliege, da sich die vorgesehene „Vergütung“ auf den Ersatz der Kosten beziehe, die durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstehen. Auch der Umstand, dass die Verbandskommunen verschiedene Einrichtungen unentgeltlich in den Verband eingebracht haben, ließe die Ausnahmeregelung entfallen.

Das OLG geht sogar davon aus, dass jede Vereinbarung einer Entschädigung oder eines sonstigen Ausgleichs für die Kompetenzübertragung bereits die Ausnahmevoraussetzungen des Art. 1 Abs. 6 der Vergaberichtlinie entfallen ließe. Daher genügt dem OLG Celle für die Annahme der Entgeltlichkeit auch, dass die beiden Zweckverbandsmitglieder alleine die allgemeine Umlagepflicht für den Fall, dass die Einnahmen des Zweckverbandes für die Deckung des Finanzbedarfs nicht ausreichen, in der Zweckverbandssatzung wiederholt haben.

Sofern der EuGH die Gründung eines Zweckverbandes nicht grundsätzlich als vergabefrei ansehen sollte (Vorlagefrage 1), zweifelte das OLG Celle, ob als Ausnahmetatbestand die durch europäische Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der In-House-Vergabe oder der interkommunalen Zusammenarbeiter zur Anwendung kämen (Vorlagefrage 2). In jedem Falle deutete das OLG bereits an, dass eine Vergabefreiheit in beiden Konstellationen nach seiner Auffassung nur in Betracht komme, solange der Zweckverband „im Wesentlichen“ für die Verbandskommunen tätig ist, wobei das OLG die Wesentlichkeitsschwelle – entgegen der neuen Vergaberichtlinie, die eine 80 % Grenze vorsieht (Art. 12 Abs. 1 lit b) – offenbar derzeit weiterhin bei 90 % der Tätigkeiten für den öffentlichen Auftraggeber ansiedeln möchte.

Der Vorlagebeschluss des OLG Celle hat in juristischen Fachkreisen für Aufsehen gesorgt, setzt sich das Gericht doch in Widerspruch zur ganz überwiegenden Auffassung in der vergaberechtlichen Spruchpraxis und Literatur ohne auf das Hauptargument der herrschenden Meinung, wonach Maßnahmen der internen Verwaltungsorganisation dem Vergaberecht von vornherein entzogen seien, überhaupt näher einzugehen.

Dabei muss die verfassungsrechtlich gewährleistete kommunale Organisationshoheit notwendig eine hinreichende Kooperationsautonomie umfassen. Dem öffentlichen Auftraggeber steht es frei, darüber zu entscheiden, Dienstleistungen von einem privaten Unternehmen zu beschaffen oder seinen Dienstleistungsbedarf nicht durch eine Auftragsvergabe nach außen, sondern mit eigenen personellen und technischen Mitteln zu decken. Die personellen und technischen Mittel dürfen fraglos durch mehrere Kommunen in Form der Gründung eines gemeinsamen Zweckverbandes gebündelt werden. Andernfalls würde ein Zwang zur Privatisierung begründet, den das auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrags zurückzuführende Vergaberecht gerade nicht erzeugen soll. Nach alledem kann Vergaberecht erst dann zur Anwendung kommen, wenn der öffentliche Auftraggeber sich entschlossen hat, Leistungen von einem am Markt tätigen privaten Unternehmen zu beschaffen und extern zu vergeben.

In diesem Lichte ist auch der bereits zitierte Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 6 der neuen Vergaberichtlinie zu betrachten. Die Argumentation des OLG, das lediglich eine „Entgeltlichkeit“ untersucht, verfängt aufgrund des eindeutigen Wortlautes, der auf eine „Vergütung für vertragliche Leistungen“ abstellt, nicht. Die Tätigkeit eines Zweckverbandes ist keine vertragliche Leistung gegenüber seinen Mitgliedern, der Zweckverband handelt vielmehr in eigener Zuständigkeit. Auch wenn er Umlagen oder sonstige Entschädigungen von seinen Mitgliedern erhält, ist dies kein Leistungsentgelt, das die Aufgabenerledigung durch den Zweckverband zu einem Beschaffungsvorgang im Sinne des Vergaberechts macht.

Nach alledem ist nicht zu erwarten, dass sich der EuGH der Auffassung des OLG Celle anschließt, da das europäische Primär- und Sekundärrecht die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung allein den Mitgliedstaaten überlässt.

Gaßner, Groth, Siederer & Coll.