Völlig verrechnet – und nun?

BGH: Zuschlagsverbot bei erheblichem Kalkulationsirrtum des Bieters

Bei einem erheblich ins Gewicht fallenden Kalkulationsirrtum kann es dem Auftraggeber lt. BGH ausnahmsweise verwehrt sein, auf dem Vertragsschluss mit dem günstigsten Bieter (per Zuschlag) zu beharren. Jedenfalls kann der Auftraggeber nach Zuschlagserteilung auf ein solches Angebot bei Scheitern der Vertragsdurchführung keinen Schadensersatz beanspruchen.


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In einem aktuell vom BGH entschiedenen Fall war es aufgrund des Irrtums zu einem extrem niedrigen Angebotspreis gekommen – der Abstand zum nächsten Bieter betrug um die 30 % (je nachdem, ob vom Bestangebot oder dem Verfolgerangebot aus gerechnet wird). Der Bieter hatte unter Hinweis auf den von ihm gewählten, falschen Mengenansatz ausdrücklich um Ausschluss seines Angebots von der Wertung gebeten.

Zuschlagserteilung trotz Kenntnis vom Kalkulationsirrtum des Bieters

Der Auftraggeber erteilte dem Bieter trotzdem den Zuschlag und bestand auf einer vertragsgemäßen Erfüllung auf Basis des fehlerhaft berechneten Angebotes. Nachdem der Bieter den Auftrag auf Basis seines abgegebenen Angebotes nicht ausführen wollte, trat der Auftraggeber vom Vertrag zurück und beauftragte ein anderes Unternehmen, welches die Leistungen zu einem höheren Preis erbrachte. Die hierdurch entstandenen Mehrkosten verlangt der Auftraggeber vom ursprünglich beauftragten Bieter als Schadensersatz. Mit seiner hierauf gerichteten Klage ist der öffentliche Auftraggeber sowohl vor dem Landgericht Hannover (Urteil vom 24.06.2013, Az.: 19 O 90/12) als auch vor dem OLG Celle (Urteil vom 20.02.2014, Az.: 5 U 109/13) erfolglos geblieben. In seiner Entscheidung vom 11.11.2014 (Az.: X ZR 32/14) hat der BGH diese klageabweisenden Entscheidungen der Tatsacheninstanzen bestätigt. Zwar liegen die Urteilsgründe zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vor, jedoch ergeben sich bereits aus der am 12.11.2014 veröffentlichten Pressemitteilung die tragenden Gründe, die der Entscheidung des BGH zu Grunde liegen.

Auftraggeber zur Rücksichtnahme gegenüber Bieter verpflichtet

So hat es der BGH als einen Verstoß gegen die in § 241 Abs. 2 BGB geregelten Rücksichtnahmepflichten qualifiziert, wenn der öffentliche Auftraggeber einen Bieter an der Ausführung des Auftrags zu einem Preis festhalten will, der auf einem erheblichen Kalkulationsirrtum beruht. Diese Erheblichkeitsschwelle ist jedoch erst dann überschritten, wenn vom Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr erwartet werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer noch annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen. Der BGH betont, dass nicht jeder noch so geringe diesbezügliche Irrtum ausreicht und auch sichergestellt sein muss, dass sich ein Bieter nicht unter dem Vorwand des Kalkulationsirrtums von einem bewusst sehr günstig kalkulierten Angebot loslöst, weil er es im Nachhinein als für ihn selbst zu nachteilig empfindet.

Ein Kalkulationsirrtum ist nur im Ausnahmefall beachtlich

Der vom BGH so entschiedene Fall ist als eine Ausnahmeentscheidung zu bewerten, denn der sog. Kalkulationsirrtum ist auch nach Rechtsprechung des BGH grundsätzlich ein unbeachtlicher Motivirrtum (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 07.07.1998, Az.: X ZR 17/97).

Das Risiko, ein zu günstiges Angebot abzugeben, ist dem Vergabeverfahren nämlich immanent. Nur im Ausnahmefall, wenn es sich – wie im vom BGH entschiedenen Fall – um einen massiven Kalkulationsirrtum handelt, was auch an dem besonders großen Abstand zwischen dem irrtumsbehafteten Angebot und dem zweitgünstigsten Angebot deutlich wird, ist es rechtsmissbräuchlich, wenn der Auftraggeber trotz Kenntnis des Irrtums den Zuschlag erteilt und auf einer Durchführung des Vertrages auf Basis des fehlerhaft berechneten Angebotes besteht.

Gaßner, Groth, Siederer & Coll.