Verzicht auf Veröffentlichung von Unterkriterien und Wertungsrastern bei EU-Vergaben?

Nach der bisher gültigen EU-Richtlinie 2004/18/EU reicht es lt. EuGH offenbar aus, wenn die Vergabestelle nur Zuschlagskriterien und deren Gewichtung angibt, dagegen auf die Veröffentlichung von Unterkriterien und die Bekanntmachung der Bewertungsmethodik verzichtet

In diese Richtung ist jedenfalls das Urteil vom 14.07.2016 (Az.: C-6/15) des EuGH zu verstehen: Nach dem amtlichen Leitsatz soll danach ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet sein, den potentiellen Bietern in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen die Bewertungsmethodik, die er zur konkreten Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden wird, zur Kenntnis zu bringen.


Voller Zugriff auf den Tagesanzeiger – Registrieren Sie sich jetzt kostenlos!

Um den vollständigen Artikel im Tagesanzeiger zu lesen, melden Sie sich bitte in Ihrem Themennetzwerke®-Konto an. Die Registrierung bei Themennetzwerke® ist kostenlos und ermöglicht Ihnen den vollständigen Zugang zum Tagesanzeiger und vielem mehr.

Falls Sie den Tagesanzeiger bereits auf kommunalwirtschaft.eu abonniert hatten und davor keinen Themennetzwerke® Account registriert hatten, dann klicken Sie auf den folgenden Link, um Ihr Passwort zu Ihrer bereits registrierten E-Mail-Adresse hinzuzufügen: Passwort für kommunalwirtschaft.eu Abonnenten hinzufügen

Jetzt einloggen Kostenlos registrieren
Die dortigen Ausführungen dürften auch für Vergaben nach der neuen Richtlinie Bedeutung haben: Auch dort ist (nur) geregelt, dass Kriterien und Gewichtung (grundsätzlich) veröffentlicht werden müssen.

Verzicht auf Bekanntgabe Bewertungsmethodik zulässig?

Im konkreten Fall waren Dienstleistungen zu vergeben. Als Zuschlagskriterien waren die Qualität des Angebots und der Preis jeweils mit 50 % gewichtet worden. Unter der Überschrift „Qualität des Angebots“ wurden in weiterer Ausfüllung als mögliche Qualitätsaspekte die Qualität der Vorbereitung, Organisation und Ausführung der Feldarbeit, der Codierung und ersten Auswertung der Daten angegeben. Die angebotenen Leistungen sollten so detailliert wie möglich beschrieben werden. Dem Angebot sollte sich entnehmen lassen, dass der Bieter in der Lage ist, den gesamten Auftrag fristgerecht auszuführen. Ein Vergabeausschuss hatte dann für den Aspekt „Qualität“ jeweils eine Bewertung nach den Kriterien „hoch-ausreichend-niedrig“ vorgenommen.

„Notensystem“ doch zulässig – jedenfalls nach EU-Recht?

Dies hat der EuGH nicht beanstandet. Nach dem OLG Düsseldorf soll es Bedenken begegnen, wenn ein Auftraggeber bei der Bewertung der Einhaltung von Zuschlagskriterien ein schlichtes „Notensystem“ anwendet, ohne dies in einen konkreten Bezug zu den Zuschlagskriterien zu setzen. Auch die Tatsache, dass diese Unterkriterien weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen angegeben worden waren, hat der EuGH nicht kritisiert, geschweige denn thematisiert. Sie waren allerdings auch nicht Gegenstand der Vorlagefrage: Dort hatte ein flämisches Gericht angefragt, ob der Auftraggeber stets dazu verpflichtet sei, Bewertungsmethode oder Gewichtungsregeln anhand deren die Angebote nach Zuschlagskriterien oder Unterkriterien bewertet werden sollen, im Voraus festzulegen. In deren Beantwortung konnte der EuGH jedenfalls aus dem bislang geltenden EU-Vergaberecht keine Verpflichtung ableiten, auch die Bewertungsmethodik (sprich: Wertungsraster) im Vorhinein bekannt zu geben bzw. zu veröffentlichen.

EuGH: Bewertungsmethode muss nicht veröffentlicht werden

Vielmehr soll dem Auftraggeber ein gewisser „Freiraum“ bei der Aufgabenerfüllung (hier: also der Angebotswertung!) zustehen. Die Grenze zieht der EuGH erst dann, wenn durch die Methodik oder die Unterkriterien die vorher bekannt gegebenen und weiterhin zu veröffentlichenden Zuschlagskriterien verändert werden.

Grenzen für die nachträgliche Veröffentlichung von „Gewichtungskoeffizienten“

Für die nachträgliche Festlegung von „Gewichtungskoeffizienten“ stellte der EuGH unter Verweis auf ein bisher nicht veröffentlichtes Urteil aus dem Jahr 2011 folgende Prämissen auf:

  • Die nachträgliche Festlegung darf die in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung bestimmten Zuschlagskriterien nicht ändern;
  • Sie darf keine Inhalte aufweisen, die bei einer Vorab-Bekanntgabe die Vorbereitung der Angebote beeinflusst hätten und
  • sie darf nicht unter Berücksichtigung von Umständen gewählt werden, die einen der Bieter diskriminieren könnten.

Unter diesen Anforderungen können Unterkriterien oder die Bewertungsmethode offenbar sogar erst nach Ablauf der Angebotsfrist aufgestellt werden – allerdings nur im Ausnahmefall. Dann sollte sich belegen lassen, dass deren Festlegung vor Öffnung nicht möglich war.

Problem: Keine Umrechnung der Qualitätskriterien im Preis oder Preiskriterien in solche der Qualität

Zusammenfassend ist es nach wie vor ratsam, sowohl die Unterkriterien als auch die Bewertungsmethodik bereits vor Ablauf der Angebotsfrist festzulegen. Die Abweichung davon ist für Vergaben nach der EU-Richtlinie 2004/18 nur zulässig, wenn die vorherige Festlegung tatsächlich nicht möglich war. Bei der Festlegung auf eine bestimmte Bewertungsmethodik ist – gerade wenn Qualitätsaspekte zu Preis-aspekten ins Verhältnis gesetzt werden – darauf zu achten, dass Umrechnungsfaktoren angewendet werden, die die Gewichtung nicht verändern. Weiterhin spricht vieles dafür, den Bietern auch das Bewertungsraster offenzulegen. Dann können jedenfalls Streitigkeiten über die spätere Angebotswertung besser vermieden werden – auch wenn dies nach dem EuGH nicht zwingend gefordert ist.

[GGSC] berät Vergabestellen bei der Entscheidung für Zuschlagskriterien, deren Gewichtung und die Anwendung von Bewertungsrastern und -methoden.

Gaßner, Groth, Siederer & Coll