Eignungsleihe kann eingeschränkt werden

Europäischer Gerichtshof (EUGH):

Der EuGH steht einer sog. „Eignungsleihe“ dann kritisch über, wenn der Dritte seine Kapazitäten dem Bieter als potenziellen Auftragnehmer gar nicht adäquat zur Verfügung stellen kann. Auch nach der Vergaberechtsreform 2016 kann sich ein Bieter zum Ausgleich von Eignungsdefiziten ja grundsätzlich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen. Erstmals haben öffentliche Auftraggeber nach § 47 Abs. 5 Vergabeverordnung (VgV) jetzt sogar die Möglichkeit, eine solche Eignungsleihe bei „kritischen Aufgaben“ im Zusammenhang mit Dienstleistungsaufträgen oder kritischen Verlege- oder Installationsarbeiten im Zusammenhang mit einem Lieferauftrag auszuschließen. Nach bisheriger Rechtslage war ein solcher Ausschluss nicht möglich.


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Wann von solchen „kritischen Aufgaben“ auszugehen sein soll, ist derzeit noch nicht absehbar. Die weitere Entwicklung durch die vergaberechtliche Spruchpraxis bleibt insoweit abzuwarten.

In einem aktuellen Urteil hatte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 07.04.2016, Rs. C-324/14) – noch auf Grundlage der inzwischen aufgehobenen Vergaberichtlinie 2004/18/EG – mit einem Fall zu befassen, der einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung solcher Fallgruppen leisten könnte. Konkret ging es um die Einschränkung der Eignungsleihe nach bisherigem EU-Vergaberecht. Lt. EuGH soll eine Eignungsleihe etwa dann eingeschränkt werden können, wenn sich die für die Ausführung des konkreten Auftrags erforderlichen Kapazitäten nicht auf einen Dritten übertragen lassen.

Der Entscheidung liegt ein polnisches Vorabentscheidungsersuchen zugrunde und betrifft ein Verfahren zur Vergabe der ganzjährigen Reinigung der Fahrstraßen der Stadt Warschau. Nach den Vergabeunterlagen musste jeder Bieter zum Nachweis seiner technischen Leistungsfähigkeit u. a. eine Referenzliste vorlegen. Ein Bieter berief sich in seinem Angebot bei zwei Referenzen auf die Erfahrung eines Drittunternehmens, das in etwa 230 km Entfernung von Warschau ansässig ist. Dem Angebot dieses Bieters war außerdem die Zusage dieses Drittunternehmens beigefügt, wonach der Drittunternehmer seine Kapazitäten (insbesondere Beratungs- und Schulungsleistungen) auf vertraglicher Grundlage dem Bieter zur Verfügung stellen werde.

Die Stadt Warschau war der Ansicht, dass ohne eine persönliche und tatsächliche Beteiligung des nicht ortsansässigen Drittunternehmers an der Auftragsausführung, dessen Kenntnisse und Erfahrungen nicht zur Verfügung gestellt werden könnten.

Sie schloss deshalb das Angebot aus. Die vom ausgeschlossenen Bieter um Rechtsschutz angerufene Nachprüfungsinstanz legte den Rechtsstreit zur Vorabentscheidung vor.

In seiner Entscheidung stellt der EuGH zunächst erneut klar, dass an das zwischen dem Bieter und dem Dritten bestehende Rechtsverhältnis zunächst keine weitergehenden Anforderungen zu stellen sind. Der Bieter muss nachweisen können, dass ihm die Mittel des betreffenden Unternehmens, die für die Ausführung des Auftrags erforderlich sind, auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Gleichzeitig erinnert der EuGH jedoch auch daran, dass ein Bieter sich nicht etwa rein formal auf die Kapazitäten Dritter berufen könne, um die einschlägigen Eignungsvoraussetzungen zu erfüllen.

Ausführlich geht der EuGH in auf die Möglichkeit ein, das Bieterrecht auf Eignungsleihe einzuschränken. Eine solche Einschränkung hält der EuGH jedenfalls bei Vorliegen „außergewöhnlicher“ Umstände für zulässig. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass durch die konkrete Eigenart und die konkreten Ziele des öffentlichen Auftrags „besondere“ Umstände begründet werden, die einer Eignungsleihe entgegenstehen. Der EuGH hielt es deshalb nicht für ausgeschlossen, dass die vom 230 km entfernt ansässigen Dritten zur Verfügung gestellten Beratungs- und Schulungsleistungen, insbesondere für den Winterdienst, nicht ausreichen könnten, um angemessen auf die speziellen Auftragserfordernisse (z. B. unverzügliche Reaktion, unmittelbare Beobachtung der Straßenoberflächen) reagieren zu können.

Der EuGH stellt in seiner Entscheidung außerdem klar, dass der öffentliche Auftraggeber durchaus, soweit – in Anbetracht des Gegenstands und der Ziele des betreffenden Auftrages – das Vorliegen „besonderer“ Umstände zu bejahen ist, im Interesse der ordnungsgemäßen Ausführung des betreffenden Auftrages in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genaue und angemessene Regeln festlegen kann, wie bzw. auf welche Weise sich ein Bieter auf die Kapazitäten dritter Unternehmen stützen kann.

Aus der Sicht öffentlicher Auftraggeber ist es zu begrüßen, wenn die Möglichkeit der Berufung auf Dritte bei eigenen Eignungsdefiziten eingeschränkt werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Neufassung des § 47 Abs. 5 VgV grundsätzlich positiv zu bewerten. Allerdings gilt es zu beachten, dass diese Ausnahmen grundsätzlich eng auszulegen sind, um den Wettbewerb nicht unangemessen einzuschränken.

Das Vorliegen der vom EuGH genannten „besonderen“ oder „außergewöhnlichen“ Umstände oder die Annahme „kritischer Aufgaben“ i.S. von § 47 VgV neu muss deshalb im konkreten Einzelfall geprüft und festgestellt werden. Jedenfalls sollten entsprechende Beschränkungen möglichst schon in der Vergabebekanntmachung veröffentlicht werden.

Gaßner, Groth, Siederer & Coll