Begegnungen mit kleinerem Fußabdruck

Die Digitalisierung hat durch die Corona-Krise einen Schub erhalten – auch im Veranstaltungswesen.

Wie stark sich dadurch Emissionen einsparen lassen, ist allerdings schwer zu beziffern.


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Von den Olympischen Spielen über die Met Gala bis zur nächsten Tour der Rolling Stones: Wegen des Corona-Virus sind rund um den Globus unzählige Veranstaltungen abgesagt worden. Eine Liste der New York Times zeigt eine Übersicht nur der größten dieser Events. Manche davon wurden ersatzlos gestrichen, viele aber auf die eine oder andere Art in den digitalen Raum verlegt – so hat sich auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) mit seiner Online-Konferenz für ein virtuelles Format entschieden.

Klar ist: Die Digitalisierung im Schnellverfahren sorgt dafür, dass erheblich weniger Emissionen ausgestoßen werden – schon allein, weil die Teilnehmenden nicht zum Veranstaltungsort anreisen. Viel schwieriger aber ist die Frage zu beantworten, wie viel weniger Emissionen es genau sind. Das ist nicht nur aus Forschungsgesichtspunkten spannend, sondern auch für Veranstalter wichtig, die die Emissionen ihrer digitalen Veranstaltungen kompensieren wollen. Bisher gibt es nur Näherungsrechnungen.

69 Kilogramm statt 52 Tonnen CO2?

Jan Rüter von nachhaltig.digital, Kompetenzplattform für Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Mittelstand, ist in einem Gedankenexperiment zum letzten Jahreskongress seiner Organisation zu einem eindrücklichen Ergebnis gekommen: Eine virtuelle Tagung hätte nur 69 Kilogramm statt tatsächlich 52 Tonnen CO2-Ausstoß verursacht und wäre damit sehr viel klimafreundlicher gewesen.

„Wir können uns einem Ergebnis aber immer nur annähern“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter, der für die inhaltliche Projektentwicklung zuständig ist. „Denn viele Einflussfaktoren liegen im individuellen Entscheidungsbereich und sind daher schwer zu kalkulieren.“ Das fange zum Beispiel damit an, mit welchen Verkehrsmitteln die Teilnehmenden zur Veranstaltung anreisten oder ob sie für die Online-Konferenz einen alten Stand-PC oder einen neuen Laptop – der einen deutlich größeren ökologischen Fußabdruck hat– nutzen. Neben der verwendeten Hardware kommen auch Faktoren wie die Browser-Einstellungen ins Spiel: Adblocker verringern die Emissionslast – um nur ein Beispiel zu nennen.

Break-Even bei 75 Stunden Digital-Meeting?

Schwierig ist dabei vor allem die Unterscheidung der unterschiedlichen Emissionsquellen, die nach dem Greenhouse Gas Protocol in Scope 1, 2 und 3 eingeteilt werden. „Meiner Meinung nach sind viele aktuelle Untersuchungen dazu bisher recht oberflächlich angelegt“, sagt auch Johanna Buchmann, Sustainability Analyst beim Start-up .planetly, das Software für intelligentes CO2-Management anbietet. Die am tiefsten gehende Studie, die Buchmann zum Thema bekannt ist, stammt aus dem Jahr 2012. Der zufolge müsste ein digitales Meeting 75 Stunden dauern, um den Break-Even gegenüber einer Konferenz in der realen Welt zu erreichen. Aber eine solche Rechnung vernachlässige immer noch weitere Faktoren, gibt Buchmann zu bedenken: „Wenn die Teilnehmenden fünf Stunden lang in einer Veranstaltung sitzen, haben sie zuhause oder in ihrem Büro – hoffentlich – die elektrischen Geräte und die Heizung ausgeschaltet.“ Wie diese Einsparung gegenzurechnen sei, sei bisher unklar.

Faktoren wie die Emissionslast durch das Catering seien ebenfalls schwer ohne tiefergehende Recherche einzuschätzen: „Woher kommen die Lebensmittel? Wie sind sie zubereitet? Wie reisen die Service-Mitarbeiter an?“ All das sind Fragen, die den Fußabdruck einer Veranstaltung beeinflussten. Aber auch die Teilnehmenden einer Online-Konferenz müssen essen – nur lässt sich der Effekt davon kaum einschätzen.

Unklar sei bisher vor allem, wo man bei all diesen Überlegungen die Grenze stecken solle: “Wie sind die Möbel, die in den gemieteten Veranstaltungsräumen stehen, anzusetzen? Wie die dort vorhandene Hardware?“, fragt Buchmann. “Aber vor allem: Ergibt es Sinn, das zu berücksichtigen? Auch zuhause sitzt man auf einem Stuhl.“ Über all diese Punkte bestehe derzeit noch keine Einigkeit.

Hybridveranstaltungen als Lösung

Der entscheidende Faktor, wenigstens das ist klar, bleibt die Anreise: „Wenn alle zur physischen Konferenz mit dem Fahrrad oder zu Fuß kämen, dann wäre die Videokonferenz für das Klima belastender“, sagt Buchmann von .planetly. Da das nicht der Fall sei, sei der Transport für bis zu 70 bis 95 Prozent der Emissionslast verantwortlich.

Von „mindestens 30 Prozent“ bei einer Großveranstaltung geht Oliver Wolf aus. Er ist Geschäftsführer von raumobil, einer IT-Firma, die auf digitale, nachhaltige Mobilitätslösungen spezialisiert ist, und hofft, dass eine Lehre aus der Corona-Krise sein könne, „50 Prozent der unsinnigen Meetings zu streichen und durch eine Videokonferenz zu ersetzen“. Das könnte die Präsenzveranstaltungen zusätzlich aufwerten und dafür sorgen, dass diese „interessanter und intensiver“ werden. Zusätzlich wäre es schön, sagt er, wenn die Veranstaltungsorte künftig mit mehr Umsicht gewählt würden, so dass die Anfahrtswege aller Teilnehmenden minimiert werden könnten.

Denn die Experten sind sich einig, dass virtuelle Tagungen viele Vorteile haben, was ihre Klimabilanz betrifft. Aber „sie werden die persönliche Begegnung in der realen Welt niemals ersetzen können“, sagt Rüter von nachhaltig.digital. Er hofft, dass die durch die Corona-Krise erzwungenen Veränderungen dazu führen werden, dass deutlich mehr Hybrid-Veranstaltungen angeboten werden: Treffen, an denen Menschen virtuell und analog teilnehmen können, je nach ihren individuellen Voraussetzungen und Zielsetzungen: „Wenn man auch online teilnehmen kann, schafft dies neue Freiheiten, da man beispielsweise für einen einzelnen Vortrag nicht mehr durch die halbe Republik fahren muss“, sagt er, „sondern nur, wenn man sich zudem auch persönlich austauschen und vernetzen möchte.“ Auch Terminkollisionen würden dadurch verringert.

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