Folgen der neuen Energiespar-Verordnungen sowie hoher Kosten für Strom und Gas.

Gastbeitrag von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Alexander Otto – Angesichts der drohenden Knappheit von Gas und Strom im kommenden Winter sollten Unternehmen spätestens jetzt Notfallpläne erarbeiten und das Gespräch mit Arbeitnehmervertreter*innen suchen.

Schon aus Kostengründen prüfen Unternehmen derzeit, wie sie Energie einsparen können. Hinzu kommt Druck von Seiten des Gesetzgebers: So haben sich die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, zwischen 1. August 2022 und 31. März 2023 den Gasverbrauch freiwillig um 15 Prozent zu senken gegenüber dem Durchschnittsverbrauch der letzten fünf Jahre. Auch die Industrie soll dazu einen Beitrag leisten. In Deutschland sind zudem zwei neue Verordnungen mit Vorgaben zur Energieeinsparung zu beachten: So ist ab dem 1. September für sechs Monate die Kurzfristenergiesicherungsverordnung (EnSikuMaV) verpflichtend. Sie sieht beispielsweise Höchsttemperaturen für Arbeitsräume in öffentlichen Gebäuden vor oder das Verbot, Eingänge im Einzelhandel offen zu halten. Zudem soll am 1. Oktober für zwei Jahre die Mittelfristenergiesicherungsverordnung (EnSimiMaV) in Kraft treten. Darin sind beispielsweise technische Energiesparmaßnahmen geregelt sowie die Pflicht, Energiemanagementsysteme umzusetzen. Wir beantworten sieben Fragen im Arbeitsrecht, die sich Arbeitgebenden aktuell stellen:

  1. Muss der Arbeitgeber die Temperatur in Büroräumen und Fabrikhallen senken?
    Die Pflicht, die Temperatur abzusenken, gilt zunächst nur für öffentliche Gebäude. Private Unternehmen müssen die in § 6 EnSikuMaV vorgegebenen Höchstwerte nur einhalten, wenn ihre Betriebsräume in öffentlichen Gebäuden liegen. Diese liegt je ein Grad unter den Mindeststemperaturen gemäß § 3 Abs. 1 Arbeitsstättenverordnung i.V.m. Anhang 3.5 und den Technischen Regeln für Arbeitsstätten ASR 3.5 Raumtemperatur. Für körperlich leichte und überwiegend sitzende Tätigkeiten gilt danach beispielsweise eine Höchstgrenze von 19 Grad Celsius. Nicht abgesenkt wird der Mindestwert für körperlich schwere Tätigkeiten.
    In der Begründung der Verordnung appelliert der Gesetzgeber aber an Unternehmen, sich die öffentliche Hand zum Vorbild zu nehmen. Nicht zuletzt wegen der hohen Energiepreise treffen viele Betriebe ohnehin bereits Vorbereitungen, um die Heizung entsprechend der Vorgaben der EnSikuMaV drosseln zu können. Ist dies der Fall, kann es unter Umständen notwendig sein, für die betroffenen Arbeitsplätze erneut eine Gefährdungsbeurteilung auf Basis der neuen Raumtemperatur nach § 5 ArbSchG vorzunehmen.
  2. Was gilt bei Gasmangel oder Stromknappheit?
    Grundsätzlich sind die Mindesttemperaturen der Arbeitsstättenverordnung auch einzuhalten, wenn es zu einem Stromausfall kommt, oder die Bundesnetzagentur Gas rationieren muss. Arbeitgebende müssen also technische und organisatorische Maßnahmen ergreifen, um die vorgesehenen Raumtemperaturen dennoch zu erreichen. Bei Verstößen drohen Bußgelder. Der Verordnungsbegründung zu § 6 ist aber zu entnehmen, dass Unternehmen in diesem Fall Arbeitnehmer*innen anbieten sollten, im Homeoffice zu arbeiten, wenn Gesundheitsschäden durch zu niedrige Temperaturen drohen.
  3. Homeoffice als Ausweg?
    Noch ist unklar, ob die Bundesregierung erneut eine Homeofficepflicht einführt, um Energie für das Heizen von Büros sowie den Weg zur Arbeit zu sparen. Unabhängig davon denken Unternehmen selbst darüber nach, Kosten zu sparen, indem Beschäftigte wieder vermehrt von zu Hause tätig sind. Umstritten ist, ob der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts einseitig Homeoffice anordnen kann. Denkbar erscheint dies allenfalls im Notfall, etwa wenn die Heizung infolge eines staatlichen Eingriffs durch die Bundesnetzagentur ausfällt. Steigende Energiekosten reichen hierfür nicht aus.
    Insofern erweist es sich als Vorteil, wenn Arbeitgebende die rechtlichen Rahmenbedingungen für mobiles und hybrides Arbeiten bereits in Tarifverträgen, Individual- oder Betriebsvereinbarungen definiert haben. Was dabei zu beachten ist, und inwieweit der Betriebsrat mitbestimmt, haben wir bereits berichtet.
  4. Haben Arbeitnehmer Anspruch auf Kompensation?
    Da auch Mitarbeiter*innen die hohen Energiepreise stemmen müssen, stellt sich die Frage: Muss der Arbeitgeber ihnen eine Aufwandsentschädigung zahlen, wenn sie sich vermehrt zu Hause aufhalten, um dort zu arbeiten? Der Ruf danach wird umso lauter, als die steuerliche Homeoffice-Pauschale des Gesetzgebers am 31.12.2022 ausläuft. Ratsam ist vor diesem Hintergrund, frühzeitig das Gespräch mit den Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertretern zu suchen, um nach einvernehmlichen Lösungen etwa in Form einer Pauschalierungsabrede zu suchen. Anrechnen lassen müssen sich Mitarbeiter jedenfalls die gesparten Kosten für den Weg zur Arbeit.
  5. Bei zu niedrigen Temperaturen einfach zu Hause bleiben?
    Ist es im Büro kühler als sonst, können Beschäftigte die Arbeit nicht verweigern oder einfach zu Hause bleiben. Ein Leistungsverweigerungsrecht steht ihnen nur zu, wenn Verstöße gegen den Arbeitsschutz einen gewissen Schwererad erreicht haben, so das Bundesarbeitsgericht. Es muss ein konkretes und erhebliches Gesundheitsrisiko bestehen, für das der Arbeitgeber keinerlei Abhilfe schaffen kann, etwa durch geeignete warme Kleidung oder Übernahme der Anschaffungskosten für diese.
    Ein Recht des Arbeitnehmers auf Homeoffice und mobiles Arbeiten besteht grundsätzlich nicht, wie wir bereits berichtet haben.
  6. Welche Mitbestimmungs- und Mitspracherechte hat der Betriebsrat?
    Bei Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz besteht ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr.7 BetrVG. Zwar können Arbeitnehmervertreter*innen nicht entscheiden, ob die Temperatur abgesenkt wird oder nicht. Aber sie bestimmen mit, wie beispielsweise etwaigen Gesundheitsgefahren vorgebeugt werden kann.
    Im Blick behalten sollten Arbeitgeber zudem etwaige Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wenn sie gemäß EnSimiMaV ein IT-basiertes Energiemanagementsystem einführen wollen, das sich eignet, Verhalten und Leistung der Beschäftigten zu überwachen. In der Praxis ist dies häufig der Fall.
  7. Kurzarbeit als Gegenmittel für energieintensive Betriebe?
    Noch ist unklar, unter welchen Voraussetzungen Betriebe Kurzarbeitergeld erhalten, die von der Energiekrise besonders betroffen sind. Was gilt beispielsweise, wenn ein Unternehmen die Produktion einstellt oder drosselt, um Kosten für Energie zu sparen, bevor die Bundesnetzagentur das Gas für den Betrieb rationiert? Diesbezüglich sollten Unternehmen die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen.

Unternehmen müssen sich dafür wappnen, dass Strom und Gas im Winter knapp werden könnten. Es gilt, das Potenzial für mehr Energieeffizienz auszuloten und Notfallpläne zu erarbeiten. Um die Akzeptanz der Belegschaft für Sparmaßnahmen zu erhöhen, ist es ratsam, den Dialog mit den Arbeitnehmervertreter*innen zu suchen. Bei vielen Maßnahmen wie technischen Einrichtungen für das Energiemanagement oder dem Gesundheitsschutz hat der Betriebsrat ohnehin ein Mitbestimmungsrecht. An Stelle strenger Vorgaben dürfte es häufig erfolgversprechender sein, über Möglichkeiten für mehr Energieeffizienz zu informieren, Ideenwettbewerbe zu veranstalten und Incentives für erfolgreiche Sparmaßnahmen auszuloben.

Anmerkung der Tagesanzeiger-Redaktion: Dr. Alexander Otto ist seit vielen Jahren Partner in der Kanzlei BUSE. Sein Kanzleipartner Dr. Alexander Krol wird am 24. März 2023 online ein Update zu Arbeitsrecht geben. Mehr dazu unter https://kommunalwirtschaft.eu/veranstaltungen/personal/11210.

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