Ab welchem Zeitpunkt ist es legitim von einer Trendwende zu sprechen? Bei einer Trendwende spielen mathematische Größen gleichermaßen eine Rolle wie kulturelle oder gesellschaftliche. Im Hinblick auf die Klimaverträglichkeit der Abfallwirtschaft kann begründbar von einer stattgefundenen Wende gesprochen werden.

Ökobilanzen weisen heute deutlich bessere Werte auf als noch vor Jahren. Natürlich gibt es noch viel Luft nach oben, aber der Verbesserungsprozess ist angestoßen und hat eine Eigendynamik erhalten. Deutlich komplexer sieht auf der kulturellen Skala aus. Auf der TRENDS-Tagung in Hamburg stoßen die Vortragenden ein großes Fenster in die Zukunft auf. Dabei geht es mehr als um Resilienz im engen Sinne von Widerstandsfähigkeit. Es geht vielmehr um eine Art von Resilienz, die radikales Umdenken und Umgestalten aller Lebensbereiche beinhaltet.

Die Diskussion erfolgt in dem Selbstverständnis, dass die Entsorgungs- oder Kreislaufwirtschaft Teil der Daseinsvorsorge ist. Die Branche ist systemrelevant. Denn wie könnte eine Gesellschaft überleben, wenn Abfälle nicht abgeholt werden? Krise kann die Branche. Das hat sie in den letzten beiden Jahren bewiesen.

Unsicherheiten nehmen aber allenthalben zu. Die vielbeschworene VUCA-Welt ist Realität geworden. Aus heutiger Sicht ist ein neuer Lockdown zwar unwahrscheinlich, aber eine neue Mutation kann diese Einschätzung schnell wieder drehen. Der Klimawandel bringt Starkregen-Ereignisse mit der Gefahr von Überschwemmungen mit sich. Der Angriffskrieg Russland auf die Ukraine verstärkte den schon durch Corona entstandenen Trend zur De-Globalisierung. Die Lieferketten sind nachhaltig gestört und die Energiekosten steigen rasant. Just-in-Time bei der Ersatzteilbeschaffung war üblich, birgt heute aber zu viele Risiken. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund eine betriebliche Resilienz aufbauen?

Flexibilität und Kreativität

Für all das, was passieren kann, gibt es keine Blaupausen. Jede Krise erfordert eigene Maßnahmen. Im Großen und Ganzen sind die Betriebe mit Home-Office, Krisenstäben, Notfallplänen gut durch die Pandemie gesteuert. Sie haben sehr schnell reagiert und sich flexibel gezeigt. Dies hätte vor der Pandemie kaum jemand für möglich gehalten. Umso wichtiger erscheint es die Erfolge durch Flexibilität und Kreativität zu bewahren und zu verhindern, dass der frühere Trott wieder Einzug hält. Die nächste Krise steht vielleicht schon vor der Tür.

Flexibilität zumindest bei den Arbeitszeiten fordern immer mehr Beschäftigte ein. Sie scheint sich zu einem der wichtigsten Faktoren bei Einstellungsgesprächen zu entwickeln.

Kooperation und Netzwerke

Hochwasser-Ereignisse erfordern Verbünde und Kooperationen. Die Abfallmengen müssen schnell abtransportiert werden, was nur möglich ist, wenn die Betriebe in der Region spontan helfen und Kapazitäten bereitstellen. Der Betrieb vor Ort wäre allein auf sich gestellt vollkommen überfordert. Es ist Nachbarschaftshilfe vonnöten. Dafür muss man sich aber kennen und eine Vertrauensbasis geschaffen haben. Manches ist sicher aus Solidarität möglich; leichter geht es, wenn organisatorische Vorkehrungen getroffen sind.

Nachhaltigkeit

Immer mehr Menschen leben in Städten. Dieser Trend ist ungebrochen. Die Gestaltung der Städte erfordert ein radikales Umdenken. Stichworte sind Fahrrad- und Fußgängerfreundlichkeit, Attraktivität des Einzelhandels, Rohstoff- und Energiekreisläufe in Quartieren. Aktuell bleiben die Potenziale zur Energieeinsparung und auch zur -produktion weitgehend ungenutzt. Hier sind gigantische Investitionen erforderlich.

Dabei müsste der gestalterische Willen der Politik ambitionierter werden. Wir verfehlen Klimaziele oder Recyclingquoten, um nur zwei nennen. Zwar hat der Klimaschutz nicht den verfassungsmäßigen Rang eines Grundrechts, doch sind die Messlatten, die von Gerichten oder der EU gelegt werden, sehr hoch.

In sozialer Hinsicht scheint eine Neubewertung des privaten Eigentums im Trend zu sein. Das eigene Auto oder das eigene Werkzeug drehen sich zu Formen gemeinsamen Eigentums oder der Miete. Vieles liegt oder steht ungenutzt herum und ließe sich anders organisiert besser nutzen. Es gibt bereits einige Quartiere in deutschen Städten mit Vorreiterfunktion. Ob die Entwicklung bereits so weit fortgeschritten ist, dass eine Trendwende erkennbar wäre, mag bezweifelt werden.

Wertstoffhöfe liegen weit entfernt von den Wohnquartieren. Wie realistisch ist es, dass sich Personen ein Lastenfahrrad leihen, um damit ihre getrennt gesammelten Wertstoffe zum Wertstoffhof zu bringen? Müssen Wertstoffhöfe nicht näherkommen, 24/7 geöffnet haben und eine deutlich größere Anzahl unterschiedlicher Fraktionen annehmen?

Trendwende

Die Transformation der Kreislaufwirtschaft hat begonnen. Die Anzahl interessanter Experimente nimmt zu, so dass durchaus Trends erkennbar sind. Noch zeigt sich die Kreislaufwirtschaft aber im Gesamtbild nur gering verändert. Eine Wende erscheint möglich, wird aber noch Zeit benötigen.

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